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Titel
Das Intelligenzblatt. Gemeinnutz und Aufklärung für jedermann. Studie zu einer publizistischen Gattung des 18. Jahr­hunderts, zur Revolution der Wissens­ver­mitt­lung und zu den Anfängen einer lokalen Presse


Autor(en)
Böning, Holger
Reihe
Presse und Geschichte. Neue Beiträge 160/161
Erschienen
Bremen 2023: Edition Lumière
Anzahl Seiten
2 Bde., 1.208 S.
Preis
€ 109,60
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Siegemund, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Auch nach über 40 Jahren der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Medien der Aufklärung entfachen die Gegenstände seiner Untersuchungen in Holger Böning noch immer Begeisterung – so legt es zumindest das vorliegende Werk über die deutschen Intelligenzblätter nahe. Ziel des Autors ist es, letztere als zentrale Publikationsform der deutschen Volksaufklärung vorzustellen, ihre Entwicklung von den Anfängen in den 1720er-Jahren bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zu beschreiben und ihren Einfluss auf die aufklärerische Wissensvermittlung, auf das Leseverhalten der breiten Bevölkerung und letztlich auf die Entstehung einer neuen Form von Öffentlichkeit herauszustellen. Nicht zuletzt – und das merkt man dem Buch an vielen Stellen an – ist Böning an einer Art Ehrenrettung des Intelligenzblatts gelegen, das seines Erachtens allzu oft als „trostlos-langweiliges und geistloses publizistisches Erzeugnis“ (S. 976) angesehen wird. Inwiefern die Bedeutung der Intelligenzblätter tatsächlich als „wenig erforscht und stark unterschätzt“ (S. 3) gelten kann, wäre allerdings zu diskutieren.1

Als Ergebnis liegt eine über 1.100 Seiten starke Monographie in zwei Bänden vor, die tiefe Einblicke in die Welt der Intelligenzblätter bietet und in weiten Teilen nahezu handbuchartig Informationen zu entsprechenden Publikationen an über 90 Orten des Alten Reiches liefert. Gegliedert ist der Inhalt in stolze 26 Hauptkapitel, die wiederum 136 Unterkapitel enthalten. Umfang und Vielfalt machen es dem Rezensenten schwer, einen konzisen Gesamtüberblick zu bieten, weshalb im Folgenden kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden kann.

Nach einer Einführung in die „lange vergessene publizistische Gattung“ (Kap. I) – auf eine trennscharfe Arbeitsdefinition verzichtet Böning, um die Quellen nicht künstlich einzuschränken – und einigen einführenden Worten zu ihrer Entstehung (Kap. II), werden die Geburt der ersten Blätter und ihre Anfangsjahre an den verschiedenen Orten, mit leichtem Fokus auf Preußen, beschrieben (Kap. III). Es folgt eine Thematisierung des Kerns der Intelligenzblätter, der Vermittlung von Angebot und Nachfrage, also der geschalteten Anzeigen (Kap. V). Dieses Geschäft wird jedoch in vielen Fällen bald zur Nebenaufgabe der Redaktionen, die sich auf die „gemeinnützigen Beiträge“ (S. 150) fokussieren. Die Beiträge bilden den Hauptgegenstand von Bönings Untersuchung, die auf den Zusammenhang von Intelligenzblatt und Volksaufklärung abhebt (Kap. VI), also die Diskussion und Vermittlung von praktischem Wissen an eine über die aufklärerische Intelligenzia hinausgehende, breitere Bevölkerung, besonders auf dem Land (Kap. VII). Nach diesen stärker analytischen Abschnitten widmet sich der Autor im umfangreichsten Kapitel des ersten Bandes einzelnen Blättern, ihren Herausgebern und Inhalten (Kap. VIII). Böning folgt bei der Darstellung dem Grundprinzip, „die Quellen mit ihren Besonderheiten zu respektieren und sprechen zu lassen“ (S. 181). Es folgen schließlich erneut zwei übergreifende Kapitel zu Intelligenzblättern als Wirtschaftsunternehmen (Kap. IX) und zum Widerstand gegen die Veröffentlichung vorher ‚geheimer‘ Marktinformationen vor allem von Seiten der Kaufleute (Kap. X).

Der zweite Band behandelt zunächst ebenfalls übergreifende Analyseaspekte, die alle untersuchten Blätter betreffen, nämlich Inhalte wie landwirtschaftliche Praxis und Naturgesetze (Kap. XI), Themen des sozialen Lebens (Kap. XII), wobei Böning die Bedeutung der Intelligenzblätter als „kaum benutztes Archiv der frühen Volkskunde im deutschsprachigen Raum“ (S. 590) bezeichnet, sowie Schulwesen und Bildungsreform (Kap. XIII und XIV). Weiterhin geht er auf die Orientierung der Autoren am Gemeinen Nutzen ein und zeigt am Beispiel Hamburgs, wie die Intelligenzblätter eine zweite praktische Phase der Aufklärung begleiteten, nachdem die erste bereits von den moralischen Wochenschriften und wissenschaftlichen Zeitschriften geprägt worden war (Kap. XVI). Anhand der Behandlung der Französischen Revolution wird schließlich die zunehmende Politisierung der Mediengattung am Ende des Jahrhunderts verdeutlicht (Kap. XVII). Wie schon im ersten Band, widmet sich auch im zweiten das umfangreichste Kapitel einzelnen Intelligenzblättern, nämlich den reichsweiten, wobei viele der übergreifenden Themen der vorherigen und nachfolgenden Abschnitte am Einzelbeispiel besprochen werden (Kap. XVIII). Die abschließenden Kapitel nehmen wieder eine stärker systematisch-analytische Perspektive ein. So werden die Intelligenzblätter im aufklärerischen Medienensemble verortet, vor allem ihr Verhältnis zu Zeitungen und Zeitschriften bestimmt, zu denen große Schnittmengen bestehen, fanden doch vor allem in der zweiten Jahrhunderthälfte Zeitungsnachrichten und gelehrte Aufsätze Eingang in viele Intelligenzblätter (Kap. XIX und XX). Anschließend geht es um Standesdenken in den Intelligenzblättern (Kap. XXI) und Beiträge bekannter Philosophen wie Lichtenberg, Möser oder Kant (Kap. XXII). Auch den „Juden im Intelligenzblatt“ (S. 907) werden hier einige Gedanken gewidmet, wobei die Platzierung dieses Unterkapitels nicht unmittelbar einleuchtet. Es folgt ein Kapitel zu „Vorurteile[n] und Vorurteilskritik in Intelligenzblättern“ (XXIII). Unter Vorurteilen, der Begriff wird nicht explizit definiert, scheint Böning solche Ansichten zu verhandeln, die nach heutigen Maßstäben als widerlegt oder auch ethisch verwerflich zu gelten haben; so steht das Thema der Sklaverei neben Aussagen zur Armut und zur medizinischen Wirkung des Konsums von Kaffee. Gerade im Bereich der Medizingeschichte („Quacksalberei und Medizinisches im Reichsanzeiger“) sind die Ausführungen einem Fortschrittsnarrativ verpflichtet, das dem Fach eigentlich seit längerem abgeht.2 Die letzten Kapitel behandeln zwei zentrale Fragen des Werkes, nämlich diejenige nach der Rezeptionsgeschichte, also den Leser:innen der Intelligenzblätter (Kap. XXIV), sowie nach dem Beitrag der Gattung zu einer Aufklärung ‚von unten‘, zur „Revolution der Wissensvermittlung“ sowie zur Entstehung einer „neuen Form der Öffentlichkeit“ (S. 997) (Kap. XXV). Gerade mit der Betonung innovativer Druckmedien argumentiert Böning hier ganz im Sinne großer Teile der Öffentlichkeitsforschung, wobei durchaus noch expliziter auf selbige hätte eingegangen werden können.3

Es folgen eine abschließende Zusammenfassung (Kap. XXVI), sodann ein umfangreicher Anhang, der einen wirklich hervorzuhebenden Service für alle Leser:innen darstellt. Letzterer besteht aus „eine[r] kleine[n] Geschichte des Intelligenzblatts in Abbildungen“ (nützlich etwa für die Verwendung des Buches in der Lehre), einer Bibliographie der Quellen und der Forschungsliteratur (enthalten ist auch eine Liste der Intelligenzblätter sortiert nach Erscheinungsorten) sowie je einem umfangreichen Sach-, Periodika-, Personen- und Ortsregister.

Die Struktur der beiden Bände macht es nicht immer leicht, dem roten Faden zu folgen, da viele Analyseaspekte an verschiedenen Stellen in der Beschreibung der einzelnen Periodika aufgegriffen, dann aber immer wieder auch in übergreifenden Kapiteln, ebenfalls unter Hinzuziehung zahlreicher Beispiele, behandelt werden. Hier hätten häufigere Querverweise und zusammenfassende Resümees, wie etwa am Ende des Kapitels zum Reichs-Anzeiger (S. 810-814), die Orientierung erleichtert. Auch wäre es dem Verständnis zuträglich gewesen, hätte Böning zu Beginn eine Arbeitsdefinition seines Gegenstands geliefert. Zu einer wirklich griffigen Bestimmung des Wesens der Intelligenzblätter kommt es erst in Kapitel XXIV, wenn als wesentliches Unterscheidungsmerkmal und „Kern“ der Intelligenzblätter deren Anzeigenteil, sowie die ‚policeylichen‘ und demographischen Bekanntmachungen genannt werden, die ab 1770 zunehmend um „redaktionelle Inhalte“ mit Anleihen bei Zeitungen und Zeitschriften ergänzt wurden (S. 974-978).

Bönings Ansatz, zuallererst die Quellen selbst sprechen zu lassen, ist äußerst begrüßenswert und die stupende Kenntnis seines Gegenstands nur zu bewundern. Allerdings überforderte sie den Rezensenten auch an nicht wenigen Stellen, steht doch die systematische, ordnende Analyse des Öfteren deutlich hinter der Fülle der Darstellung der Quellen und aus diesen entnommenen, überbordenden Zitaten zurück. Letztere nehmen im Text ungewöhnlich viel Raum ein und können gerne einmal über 30 Zeilen reichen (z. B. S. 18f.). Nicht selten werden die Leser:innen mit diesem Material allein gelassen, steht es etwa unkommentiert am Ende eines Kapitels. Ungewohnt erscheinen zudem die langen Aufzählungen, die eventuell auch in die Fußnoten verschoben oder in Tabellenform hätten präsentiert werden können (beispielsweise S. 200f., 530-532). Ebenfalls in den Bereich des Formalen fallen die leider häufigen Fehler beziehungsweise Inkonsistenzen, die durch eine einfache redaktionelle Durchsicht leicht zu beheben gewesen wären und vor allem den Anmerkungsapparat, aber auch Redundanzen im Text (beispielsweise S. 27f.) betreffen.

Diese Monita schmälern den großen Wert, den Bönings Arbeit für die Forschung bietet, allerdings kaum: „Das Intelligenzblatt“ bietet einen umfassenden Überblick über dieses Medium auf dem Gebiet des Alten Reiches und wird auf absehbare Zeit von jeder:m Historiker:in genutzt werden, die:der sich diesem Thema widmet. Es stellt eine Fundgrube an Ansätzen für lokale und regionale Untersuchungen und eine nützliche Hilfe beim Auffinden von entsprechenden Quellen dar. Die angestrebte Ehrenrettung der Gattung, um zum Anfang zurückzukehren, scheint gelungen: Intelligenzblätter werden als wichtiges Medium der Volksaufklärung und als ein zentrales Moment der Entwicklung einer politischen Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert präsentiert. Besonders letzteres scheint einleuchtend, bieten doch die Intelligenzblätter, gerade nach der in der zweiten Jahrhunderthälfte einsetzenden Politisierung, einen Ort des öffentlichen Räsonnements und der Diskussion sowie gerade auch der Selbstreflexion über die Rolle der Öffentlichkeit und ihrer Medien in der Gesellschaft.

Anmerkungen:
1 So hieß es in einem einschlägigen Handbuch bereits 2013, dass dem Medium von der neueren Forschung viel Aufmerksamkeit geschenkt worden sei: Andreas Würgler, Medien in der Frühen Neuzeit, 2. durchgesehene Auflage, München 2013, S. 108.
2 Vgl. bspw. Wolfgang Uwe Eckart/Robert Jütte, Medizingeschichte. Eine Einführung, 2. Auflage, Köln 2014, S. 25–33.
3 Vgl. bspw. Andreas Gestrich, The Public Sphere and the Habermas Debate, in: German History 24 (2006), S. 413–430.

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